Höhere Strafen allein reichen nicht!
Die Bundesregierung will mit dem Gesetzesvorhaben zu einem besseren Schutz von Kindern durch schärfere Strafen, effektive Strafverfolgung, Verbesserungen bei der Prävention und Verankerung von Qualifikationsanforderungen in der Justiz kommen.
Kiel |30.10.2020. Das PETZE-Institut für Gewaltprävention begrüßt es, dass die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht damit jetzt endlich unter dem Druck der aktuellen Skandalfälle reagiert und in ihrer aktuellen Presseerklärung betont:
„Immer wieder erleben wir, dass Kindern durch erschütternde sexualisierte Gewalttaten unermessliches Leid zugefügt wird. Um diese Gräueltaten mit aller Kraft zu bekämpfen und Kinder besser zu schützen, haben wir ein umfassendes Paket beschlossen. Dazu gehören deutlich schärfere Strafen, effektivere Strafverfolgung und Verbesserungen bei der Prävention auch durch Qualifikationsanforderungen in der Justiz.
Täter fürchten nichts mehr als entdeckt zu werden. Den Verfolgungsdruck müssen wir deshalb massiv erhöhen. Das schreckliche Unrecht dieser Taten muss auch im Strafmaß zum Ausdruck kommen. Künftig muss sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Wenn und Aber ein Verbrechen sein. Gleiches gilt für die abscheulichen Bilder und Videos, mit denen diese Taten zu Geld gemacht werden. Wer mit der Grausamkeit gegen Kinder Geschäfte macht, soll künftig mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden können.
Wir brauchen höchste Wachsamkeit und Sensibilität für Kinder, die gefährdet sind oder Opfer von sexualisierter Gewalt wurden. Um sicherzustellen, dass Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ihren verantwortungsvollen Aufgaben gerecht werden können, legen wir konkrete Qualifikationsanforderungen in der Familien- und Jugendgerichtsbarkeit fest.“
Ursula Schele, Geschäftsführerin des PETZE-Instituts für Gewaltprävention begrüßt es, dass aus Vergehen jetzt endlich den Taten angemessen Verbrechen werden sollen, die auch als solche benannt werden.
„Den Begriff sexualisierte Gewalt bald im Strafgesetzbuch zu lesen freut uns sehr, denn wir haben uns lange dafür eingesetzt, dass auch in der Sprache und somit im Bewusstsein der Beteiligten deutlich wird, wie schwerwiegend die Taten an Mädchen und Jungen sind. Sehr zu begrüßen ist, dass es zu den dringend erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen in der Justiz kommt, denn nur wenn die Richter- und Staatsanwaltschaft die ausgefeilten Strategien der Täter sowie die Ambivalenzen und Notlagen der Betroffenen kennen, können sie auch sensible Befragungen durchführen und lassen sich nicht so leicht von den Verschleierungen der Straftäter und deren Umfeld verunsichern. Aber Abschreckung durch eine Erhöhung des Strafrahmens allein wird leider nicht viel bewirken, denn nur die wenigsten Straftaten werden vom Umfeld erkannt und zur Anzeige gebracht. Gebraucht wird deutlich mehr Fachpersonal bei der Polizei, in Jugendämtern und in den spezialisierten Fachberatungsstellen. Wenn Politik, Verwaltung und Gesellschaft wirklich grundlegend und flächendecken gegen sexualisierte Gewalt im realen und virtuellen Leben aktiv werden will, braucht es verbindliche Schutzkonzepte für alle Schulen, denn nur hier können gefährdete und bereits betroffene Kinder erreicht werden. Prävention und Hilfe dürfen nicht länger dem Zufall oder einzelnen engagierten Lehrkräften überlassen bleiben. Es braucht klare Interventionspläne, kindgerechte Informationen und deutliche Ermutigung um sexualisierte Gewalt zu erkennen und mit vernetzten Handlungsstrategien zu begegnen. Das Strafgesetzbuch agiert aus der Perspektive des Täters und hier steht „in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten)“ im Vordergrund. Generell sollten wir in den Familien und in der Gesellschaft in der pädagogischen Praxis konsequent vom Kind her denken und es in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen.“
PETZE-Institut für Gewaltprävention gGmbH
Ursula Schele
Dänische Straße 3-5
24103 Kiel
Tel.: (0431) 9 11 85/ 0176 – 430 46970
petze@petze-kiel.de
www.petze-kiel.de
Der Gesetzentwurf enthält folgende Kernpunkte:
1. Verschärfungen und Erweiterungen des Strafgesetzbuchs (StGB):
- „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder“: Die Straftatbestände des sexuellen Missbrauchs von Kindern sollen mit diesem Begriff gesetzlich neu bezeichnet werden, um das Unrecht der Taten klar zu beschreiben.
- Der Grundtatbestand der sexualisierten Gewalt gegen Kinder soll künftig ein Verbrechen sein mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe (bisher als Vergehen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht).
- Verbreitung, Besitz und Besitzverschaffung von Kinderpornografie sollen zum Verbrechen hochgestuft werden. Für die Verbreitung von Kinderpornografie sieht der Entwurf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor (bisher drei Monate bis fünf Jahre). Besitz und Besitzverschaffung sollen mit Freiheitsstrafen von einem Jahr bis zu fünf Jahren geahndet werden (bisher bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe). Das gewerbs- und bandenmäßige Verbreiten soll künftig mit Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren geahndet werden können (bisher sechs Monate bis zehn Jahre).
- Taten mit oder vor Dritten: Die §§ 174 bis 174c StGB (sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und in Abhängigkeitsverhältnissen) sollen um Handlungen mit oder vor Dritten erweitert werden.
- Strafbarkeit von kindlichen Sexpuppen: Der Gesetzentwurf sieht die Aufnahme einer ausdrücklichen Regelung zur Strafbarkeit von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild in das Strafgesetzbuch vor. Damit soll zugleich der Markt für solche Puppen ausgetrocknet werden. Der Strafrahmen für Herstellung und Verbreitung soll bei bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe liegen; für Erwerb und Besitz bei bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe.
- Verjährung: Bei dem Straftatbestand der Herstellung kinderpornografischer Inhalte, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, soll die Verjährungsfrist erst mit Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers beginnen.
2. Prävention und Qualifizierung der Justiz:
- Der Gesetzentwurf sieht die Einführung besonderer Qualifikationsanforderungen für Familienrichterinnen und Familienrichter sowie die Verankerung von Eignungsvoraussetzungen für Verfahrensbeistände vor. Vergleichbares soll für Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte geregelt werden, die in Jugendschutzsachen in der Lage sein müssen, mit den kindlichen Opferzeugen verständig und einfühlsam umzugehen.
- Mit der Änderung der Kindesanhörung soll sichergestellt werden, dass das Familiengericht in Kindschaftsverfahren das Kind regelmäßig – unabhängig von seinem Alter – anhört und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind verschafft.
- Um Kinder und Jugendliche umfassend zu schützen, sollen die Fristen für die Aufnahme von relevanten Verurteilungen in erweiterte Führungszeugnisse ganz erheblich verlängert werden: bei besonders kinderschutzrelevanten Verurteilungen auf 20 Jahre zuzüglich der Dauer der Freiheitsstrafe.
3. Effektive Strafverfolgung:
- Beschleunigungsgebot: In der Strafprozessordnung soll ausdrücklich ein Beschleunigungsgebot für Strafverfahren mit minderjährigen Opferzeuginnen und Opferzeugen verankert werden.
- Die Anordnung von Untersuchungshaft soll unter erleichterten Voraussetzungen möglich sein.
- Telekommunikationsüberwachung soll künftig auch bei Ermittlungen wegen des Sichverschaffens oder Besitzes von Kinderpornografie möglich sein.
- Onlinedurchsuchung und Verkehrsdatenerhebung: Auch in den Fällen des Grundtatbestandes der sexualisierten Gewalt gegen Kinder sowie der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte soll künftig eine Onlinedurchsuchung und eine Verkehrsdatenerhebung von auf Vorrat gespeicherten Daten angeordnet werden können.
Weitere Informationen unter:
Pressemitteilung zum neuen Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt als PDF zum Download